Olympiasieg nur ohne Medaille

Zuverdienstplätze bei diakonia

Eni geht gern mit Mode um. Das Dekorieren des Verkaufsraums (hier mit der Storemanagerin Astrid Harry) macht ihr besonderen Spaß. Foto: Erol Gurian

Mit 81 Plätzen ist diakonia der größte bayerische Anbieter im Bereich Zuverdienst. Das ist herausfordernd – und gleichzeitig eine Brücke ins Leben.

Lisa mag ihren Arbeitsplatz. Dabei liegt dieser im Keller des Kaufhauses von diakonia. Lisa, die eigentlich anders heißt, geht an Papiercontainern vorbei, an Kisten mit Geschirr, durch verwinkelte Räume. Links beginnt ihr Reich. Hier stehen Regale, darin viele hundert Bücher, fein sortiert nach Rubriken. "Kinder" ist da zu lesen, "Hobby", "Religion". Es ist das Vorratslager für die Bücherabteilung zwei Stockwerke darüber. Eine von Lisas Aufgaben ist es, die Regale im Verkaufsraum des Kaufhauses immer ordentlich zu bestücken.

Erwerbsminderungsrente als Voraussetzung

Wer wissen will, was Zuverdienstler*innen sind, der muss in den ersten Stock gehen, zu Stephanie Kramer. "Darauf gibt es keine einfache Antwort, jedenfalls keine kurze", sagt die Prokuristin und lacht. "Die Menschen im Zuverdienst können aufgrund einer psychischen Krankheit dauerhaft nicht mehr arbeiten, wünschen sich aber eine Tagesstruktur und eine Aufgabe, in der sie sich als wirksam erleben dürfen", sagt sie. Dafür gibt es eine Reihe formaler Voraussetzungen: Zuverdienstler*innen müssen dauerhaft erwerbsunfähig und unter 67 Jahre alt sein. Deshalb dürfen sie auch nie mehr als drei Stunden täglich und bis zu 14,99 Stunden pro Woche arbeiten. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann diakonia der einzelnen Person einen Zuverdienstplatz anbieten.

In ganz Bayern gibt es aktuell 1.900 Zuverdienstplätze. "Mit unseren 81 Plätzen sind wir in dieser Kategorie der größte Anbieter in Bayern", erklärt die Prokuristin. Mit dem Angebot Zuverdienst ermöglicht der Bezirk Oberbayern als Zuschussgeber Betroffenen nicht nur eine Tagesstruktur, sondern auch eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. "Dies stärkt das Gefühl von Zugehörigkeit und kann soziale Isolation, die oftmals mit psychischen Erkrankungen einhergeht, bekämpfen", sagt Stephanie Kramer.

Individuelle Stärken herausfindenen

Dafür ist diakonia gut aufgestellt. Nicht nur Lisa hat zwei Ansprechpartner: ihren Abteilungsleiter Thorsten von Eyb und ihren Sozialarbeiter Christos Liaras. Der Sozialpädagoge geht regelmäßig durch den Betrieb und schaut genau hin. "Wir dürfen die Menschen nicht überfordern und wollen ihnen gleichzeitig ein Umfeld anbieten, das ihre persönlichen Herausforderungen berücksichtigt", sagt der 36-Jährige. Für Menschen mit einer Sozialphobie ist der Verkaufsraum vielleicht nicht der richtige Ort. Bei anderen gibt es Rückschläge, weil ihre Medikamente umgestellt wurden. "Für alle muss die Beschäftigung immer wieder neu angepasst werden", sagt Liaras. Und selbst dann kann die Arbeit überfordern, nicht wenige müssen daher wieder aufgeben. Viele andere aber stabilisiert die Arbeit. Und der Kontakt zu anderen Menschen reißt sie aus der privaten Isolation. Diese Gratwanderung zwischen Überforderung und Herausforderung ist für Christos Liaras und für diakonia als Arbeitgeberin die schwerste Aufgabe.

Lisa ist jetzt seit sieben Jahren dabei. Das ist wie ein Olympiasieg – nur ohne Medaille. Als junge Frau hatte sie eine Ausbildung begonnen und dabei eine Angststörung entwickelt. "Damals begann meine Odyssee durch viele Einrichtungen", sagt sie. Nach und nach fasste sie Fuß. "Ich lebe mit zwölf anderen in einer therapeutischen Wohngemeinschaft", erzählt sie. Und fährt gerne 45 Minuten zur Arbeit.

Am Lohn kann es nicht liegen. Zwei Euro pro Stunde und die Monatsfahrkarte erhält sie zusätzlich zu ihrer Rente. Von einer Freundin hat sie vor Jahren erfahren, dass diakonia Zuverdienst-Jobs anbietet. "Ich habe damals in einer Werkstatt für geistig behinderte Menschen gearbeitet. Ich wollte aber mit Menschen arbeiten, die ich besser verstehen kann", sagt sie. Das kann sie nun bei diakonia. "Meine Kolleg*innen sind alle total nett, wir haben Spaß zusammen, machen jedes Jahr einen gemeinsamen Ausflug", sagt sie. Ihre Hoffnung: "Dass es so weitergeht."

Damals rief sie einfach bei diakonia an, stellte sich vor und bekam die Stelle. Das ist aber nur ein Weg zum Zuverdienst. "Über offene Stellen informieren wir unsere Kooperationspartner, allen voran Beratungsstellen oder psychiatrische Kliniken, und natürlich auch auf unserer Webseite", sagt Stephanie Kramer. Umgekehrt fragen zum Beispiel gesetzliche Betreuer*innen an, ob es offene Stellen gibt.

Ein Teil der Gesellschaft sein

Seit zweieinhalb Jahren arbeitet Eni im kleidsam. "Wenn eine neue Mitarbeiterin eingearbeitet wird, stelle ich ihr sehr gerne Eni zur Seite", sagt Astrid Harry. Sie selbst ist bereits seit kurz nach der Eröffnung – vor 20 Jahren – im kleidsam dabei. Die Boutique ist das Flaggschiff unter den insgesamt acht Secondhand-Läden von diakonia. Circa 150 Mitarbeiter*innen arbeiten bei diakonia secondhand, viele von ihnen sind im Zuverdienst, im kleidsam zum Beispiel sechs Frauen.

Die Beschäftigung von im Zuverdienst arbeitenden Frauen fordert Astrid Harry auch heraus. "Die Mitarbeiterinnen müssen sich häufiger krankmelden", erzählt sie. Für sie selbst heißt das: flexibel agieren, kreativ sein. Gleichzeitig macht ihr die Arbeit mit den verschiedenen Mitarbeiterinnen Spaß. Und sie will eine Atmosphäre schaffen, fernab von Mobbing und Stress. "Für viele meiner Mitarbeiterinnen ist das kleidsam ein wichtiges soziales Umfeld", sagt Harry. Genau deshalb seien die Zuverdienstangebote so wichtig. Denn hier erfahren Menschen Wertschätzung und sind ein Teil der Gesellschaft.

Text: Michael Netzhammer

 

 


Diakonie München und Oberbayern - Innere Mission München e.V.

Landshuter Allee 40
80637 München

T (089) 12 69 91 122

presse@diakonie-muc-obb.de