Drei Fragen an…

Judith Steinbach

Portrait Judith Steinbach
Judith Steinbach leitet die Informationskampagne „Brücken bauen“ der Hilfe im Alter

Judith Steinbach leitet die Informationskampagne „Brücken bauen“ der Hilfe im Alter, bei der ältere Menschen mit Migrationsbiografie durch Workshops, Vorträge und Infostände über Hilfsangebote informiert werden.

Wie wird die Kampagne wahrgenommen?

Sehr positiv. Das Schwierigste dabei ist der Erstkontakt in die zahlreichen Zielgruppen. Sobald ein persönliches Kennenlernen stattgefunden hat und klar wird, um was es geht, ist die Nachfrage für gewöhnlich groß. Gefragt sind dann Infos und Veranstaltungen zu ambulanten Unterstützungsmöglichkeiten oder zur Pflegeversicherung. Auch zu Krankheitsbildern wie Demenz oder Diabetes informieren wir regelmäßig. Der größte Anteil an Anfragen kam dieses Jahr zum Thema „psychische Gesundheit im Alter“.

In welcher Hinsicht sind ältere Menschen mit Migrationsbiografie von Einsamkeit betroffen?

Dieser Punkt ist vielschichtig. Zunächst mal ist Einsamkeit ein subjektives Gefühl jeder und jedes Einzelnen. Dabei geht es oft viel mehr um die Qualität von sozialen Beziehungen als nur die Anzahl sozialer Kontakte. Die Infokampagne kooperiert beispielsweise mit Gruppen, in denen zugewanderte Menschen kaum Angehörige vor Ort haben und sich deshalb für mehrsprachige Ehrenamtliche als Besuchsdienst interessieren.

Der Faktor einer Migrations- oder Fluchterfahrung gilt - entsprechend dem Einsamkeitsbarometer 2024 das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, als erhöhte Einsamkeitsbelastung. Dabei geht es um eine zusätzliche kollektive Einsamkeit, also die fehlende Zugehörigkeit oft gepaart mit Diskriminierung aufgrund der Herkunft, ein schlechterer Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildung sowie allgemein schlechtere Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Mitglieder*innen unserer Kooperationsgruppen schildern dazu auch die anhaltende Zerrissenheit zwischen Herkunftsland und Zielland und teilweise fehlendes Zugehörigkeitsgefühl in jeweils beiden Gesellschaften.

Sie haben bei dem Aktionstag „Einsamkeit schlägt aufs Herz“ im Namen der Diakonie München und Oberbayern teilgenommen. Die Veranstaltung trägt zur Sensibilisierung für Einsamkeit im Alter bei. Wie kann die Gesellschaft noch stärker auf dieses Thema aufmerksam machen? Welche zusätzlichen Maßnahmen oder Mechanismen halten Sie für notwendig?

Das Bewusstsein dafür ist meiner Meinung nach inzwischen in der Bevölkerung angekommen. Auch die damit verbundenen erheblichen Risiken für die physische und psychische Gesundheit sind inzwischen bekannt. Angebote gibt es ja zahlreich, zumindest in einer Stadt wie München. Anders sieht es in den ländlichen Regionen aus. Da dürfte laut Expert*innen noch nachgebessert werden.

Eine zielführende Initiative in München, finde ich zum Beispiel das "Save"-Projekt ("Senioren und Seniorinnen aufsuchen im Viertel durch Experten und Expertinnen“). Das Streetwork-Konzept ist an die Münchner Alten- und Service-Zentren (ASZ) angegliedert. Dabei gehen Mitarbeitende auf unterstützungsbedürftig wirkenden Senior*innen im Viertel zu und sprechen diese an. So sollen auch Menschen erreicht werden, die keine Einrichtungen besuchen, aber in Notlagen stecken.

Die größere Herausforderung aus meiner Sicht bleibt aber, die persönliche Überwindung Angebote auch anzunehmen. Niemand gesteht sich gern ein einsam zu sein. Sich in einem weiteren Schritt anderen Menschen anzuvertrauen, fällt noch schwerer. Besonders jüngere Menschen tendieren dazu, ihre Einsamkeit auf die eigene Person zu beziehen und zu denken „etwas stimmt nicht mit mir“. Die Folge ist Rückzug - aus Angst sich womöglich jemandem aufzudrängen.

Es wäre hilfreich das Thema in der Bevölkerung von der reinen Sachkenntnis noch mehr auf eine Gefühlsebene zu bringen. In einem Podcast, den ich regelmäßig höre, haben vor Kurzem bekannte Persönlichkeiten zu ihren privaten Einsamkeiten erzählt. Dieses kollektive „Outing“ von so vielen Seiten bewirkt dann schon das Gefühl: Es gibt so viele Betroffene, ich bin nicht allein damit und es liegt auch nicht an mir.


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