Zwischenzeugnisse im dritten Corona-Jahr
Schulsozialarbeiterin: "Es gibt definitiv mehr Ängste"

Lisa Negele ist Schulsozialarbeiterin an einer Grundschule im Münchner Westen. Täglich erlebt sie, welche Folgen die Pandemie für Kinder und Familien hat.
Am Freitag erhalten die Schülerinnen und Schüler in Bayern ihr Zwischenzeugnis. Im dritten Corona-Jahr spiegelt es Kindern und Eltern nicht nur, wie die Lehrerinnen und Lehrer die schulische Leistung bewerten. Da Schulnoten häufig von Faktoren wie der familiären Situation und psychischen Belastungen beeinflusst werden, ist das Zeugnis auch ein Hinweis darauf, welche Kinder und Jugendliche von den Folgen der Pandemie, von Homeschooling, Distanz- und Wechselunterricht besonders betroffen sind.
Bildungserfolg vom Elternhaus abhängig
Lisa Negele ist Schulsozialarbeiterin an einer Grundschule im Münchner Westen. Während der gesamten Pandemiezeit hatten sie und ihre Kollegin viel Kontakt zu den Familien. "Viele Eltern haben sich von sich aus bei uns gemeldet, weil sie total überfordert sind, alles unter einen Hut zu bringen: Drei Kinder, die nicht in die Schule oder in die Kita dürfen, dann vielleicht noch Homeoffice und Homeschooling gleichzeitig, Familien, die auf engem Raum leben, Existenzängste."
Häufig konnten Eltern ihre Kinder nicht so unterstützen wie sie es sich gewünscht hätten, zum Beispiel wegen sprachlicher Hürden. "Wir sehen Kinder, die mit dem Schulstoff massiv hinterherhinken und fast das ganze Jahr aufholen müssen. Auf der anderen Seite, haben wir Kinder, die dort stehen, wo sie auch ohne Pandemie stehen würden. Für die war das Homeschooling mit ihren Eltern wie Privatunterricht", sagt Lisa Negele. Das Bildungsgefälle, das schon vor der Pandemie bestanden hat, nehme so weiter zu. "Ich frage mich, wie sich diese Schere überhaupt wieder schließen lassen kann."
Mehr Ängste bei den Kindern
Aber nicht nur die Auswirkungen auf die schulische Entwicklung, auch die psychischen und sozialen Folgen, die die Pandemie für die Schülerinnen und Schüler hat, erlebt Lisa Negele jeden Tag: "Es gibt definitiv mehr Ängste", hat sie beobachtet. "Die Kinder haben schon Angst vor Corona selbst. Vielleicht gar nicht einmal, es selbst zu bekommen, sondern eher davor, die Oma anzustecken oder den lungenkranken Bruder." Außerdem beobachtet sie nach dem langen Hin und Her zwischen Homeschooling, Wechsel-, Distanz und wieder dauerhaftem Präsenzunterricht eine generelle Schulangst: Kinder die Bauchschmerzen haben, weil sie zur Schule müssen oder die wie angewurzelt vor der Schule stehen bleiben, anfangen zu weinen und wieder mit der Mama oder dem Papa nach Hause gehen wollen.
Negele und ihre Kollegin versuchen dann, die betroffenen Kinder außerhalb dieser Extremsituation kennen zu lernen, ihnen eine Raum zum Rückzug und Ankommen zu geben. Damit die Kinder sich wieder in den Unterricht trauen, gibt es verschiedene pädagogische Ansätze wie etwa das "Ich schaffe das"-Programm. "Dabei arbeiten wir ganz kleinschrittig mit den Kindern. Zum Beispiel: Ich schaffe es, in der Früh in die Klasse zu gehen." Dafür kann sich das Kind die Unterstützung aussuchen, die es braucht. Das kann ein Krafttier sein, eine Freundin, ein Freund oder auch die Schulsozialarbeiterin selbst.
Wartelisten für eine Psychotherapie sind lang
Was sie den Kindern wünscht? Darüber denkt Negele nur kurz nach. "Es ist gut, dass die Schulen jetzt dauerhaft geöffnet bleiben sollen. Das ist für die Kinder wahnsinnig wichtig. Es gibt Kinder für die ist der Lebensraum die Schule. Da sind die Freunde, das soziale Umfeld. Da würde ich ihnen auf jeden Fall wünschen, dass das so bleibt. Außerdem würde ich mir wünschen, dass der Zugang zu Psychotherapie für Kinder generell einfacher wird. Wir hören zunehmend, dass Familien auf der Suche sind. Die Wartelisten sind ewig lang."
Diakonie München und Oberbayern - Innere Mission München e.V.
Landshuter Allee 40
80637 München