"In der Krise müssen wir jetzt handeln"
#AufUnsAchten
Frau Nadery, Sie arbeiten seit einem Jahr in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen im Landkreis München. Was zeichnet ihre Arbeit aus?
Ich weiß eigentlich nie, was mich an jedem Tag erwartet. Es kommt oft zu überraschenden Situationen. Das macht die Arbeit aufregend und abwechslungsreich – aber dadurch muss man natürlich auch flexibel sein. Es geht vor allem darum, Menschen Orientierung zu geben. Zum Beispiel beim Thema Arbeit. In der Asylsozialarbeit vermitteln wir zwischen Klient*innen und Behörden. Wir erklären ganz viel. Diese ganzen Formulare überfordern einen ja häufig schon, wenn man hier geboren wurde – und wie soll das jemand erleben, der die Sprache nicht 100 Prozent beherrscht und diese ganze Bürokratie, die es hier gibt, aus dem eigenen Land nicht kennt?
Zumal die Menschen, die sie beraten ja nicht freiwillig hier sind, sondern häufig traumatisiert sind und vor Gewalt und Krieg fliehen mussten.
Gerade in den ersten Wochen war es für mich schwer zu akzeptieren, dass man an dem, was passiert ist, ja nichts mehr ändern kann. Und natürlich ist die Situation der geflüchteten Menschen auch hier nicht ideal. Natürlich möchte man da gerne Hoffnung schenken, aber das ist natürlich schwierig, wenn man nicht weiß, wie das Asylverfahren letztendlich entschieden wird. Das ist oft schwer auszuhalten. Ich kann letztendlich immer nur versuchen, die Menschen so gut es geht zu begleiten, da zu sein, zuzuhören.
Was hat sich denn mit dem Krieg in der Ukraine für Sie verändert?
Der Krieg war und ist etwas, das unsere Arbeit seit Februar stark beeinflusst. Ich hatte plötzlich sehr viel mehr Klient*innen. Es war eine Herausforderung. Die Geflüchteten standen erstmal da und waren orientierungslos. Sie sind ja komplett aus dem Leben gerissen worden. Und dann gab es natürlich noch die Geflüchteten aus anderen Ländern, die man natürlich auch nicht vergessen wollte. Es ist sicher nicht möglich, allen und allem gerecht zu werden. Man muss auch seine Ansprüche herunterschrauben. Denn es ist eine Krise, die wir erleben. Man muss jetzt handeln und kann in dieser Situation nicht den Anspruch haben, dass man jemanden super gut begleitet und in die Gesellschaft integriert. Sondern man muss sehen, dass die wichtigsten Sachen laufen. Alles andere kommt dann später.
Wie schwer fällt es Ihnen, abzuschalten?
Ich nehme das schon mit nach Hause, wobei ich das im Laufe der Zeit schon auch gelernt habe, diese Gedanken auch zu beenden. Das schaffe ich, indem ich zum Beispiel mit meinem Mann oder auch mit Freunden über problematische Situationen spreche. Manchmal ist aber auch genau das Gegenteil der Fall. Dann ist es wichtig, nicht alles zu thematisieren, sondern etwas auch ruhen zu lassen. Auf der Arbeit haben wir Kontakt zu vielen Menschen, sind sehr gefordert. Dann brauche ich persönlich einfach Zeit, um das zu verarbeiten, damit es sich auch setzen kann.
Welchen Ausgleich, welche Ablenkung haben Sie für sich gefunden?
Sport. Ich habe mit Yoga angefangen und lauter Entspannungskurse gemacht. Aber ich habe dann gemerkt, dass mir doch eher Kurse guttun, wo ich mich richtig auspowere. Das ist für mich eine gute Methode, Stress und alles möglich abzubauen und wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Was machen Sie, wenn Sie in der Arbeit selbst mal so einen richtigen Stressmoment erleben?
Ich habe mal vor einiger Zeit eine Fortbildung gemacht, in der es eigentlich darum ging, wie man Klient*innen runterholen kann, wenn sie in einer Krise sind. Dort wurde empfohlen bewusst tief zu atmen, um Stress abzubauen. Ich habe das bei mir selbst ausprobiert und es ist tatsächlich sehr hilfreich. Ich mach das gerne, wenn ich einen kleinen Puffer zwischen den Terminen mit den Klient*innen habe. Und wenn ich nach einem sehr stressigen Moment die Möglichkeit habe, dann verlasse ich kurz mal das Büro und gehe raus – mich bewegen.
Diakonie München und Oberbayern - Innere Mission München e.V.
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