"Mut und Miteinander sind Teile der DNA der Diakonie Herzogsägmühle"
Andreas Kurz im Interview
Der langjährige Direktor der Diakonie Herzogsägmühle, Wilfried Knorr, hat sich zum Jahreswechsel in den Ruhestand verabschiedet. Die Geschäfte der Tochterfirma der Diakonie München und Oberbayern übernommen hat Andreas Kurz gemeinsam mit Vorstandsprecherin Andrea Betz und Vorstand Hans Rock. Kaum jemand dürfte das Unternehmen so gut kennen wie Kurz, der seit mehr als 30 Jahren in unterschiedlichen Bereichen für und in Herzogsägmühle gearbeitet hat. Ein Gespräch über Mut, Ziele und was ihn antreibt.
Wie war der Start im neuen Job?
ANDREAS KURZ: Ich bin sehr glücklich über den Start in meine neue Aufgabe. Das habe ich zum einen meinem Vorgänger Wilfried Knorr zu verdanken, der den Übergang mit mir zusammen nahtlos gestaltet hat. Zum andern wurde ich im fließenden Übergang durch meine beiden Vorstände Andrea Betz und Hans Rock, sowie den Kolleginnen und Kollegen in den Verwaltungsbereichen auf allen Ebenen sehr unterstützt. Ein besonders intensiver Moment, darf ich sagen ein echter "Gänsehautmoment", waren die Segenswünsche der Kollegen beim Festgottesdienst für meine neue Aufgabe.
Warum haben Sie sich entschieden Geschäftsführer zu werden? Es gibt vermutlich viele stressfreiere Jobs.
Ich bin tatsächlich mit Leib und Seele ein Herzogsägmühler. Ich stehe nicht nur voll und ganz hinter der Idee des aus einer ehemaligen Arbeiterkolonie entstandenen "Ort zum Leben", sondern habe diesen Ort in den letzten drei Jahrzehnten auch mitgeprägt und gestaltet. Beispielsweise die Ausprägung internationalen Beziehungen durch EU-Projekte oder der Auf- und Ausbau von IT und Digitalisierung und die Verbreiterung der Angebote vom zentralen Standort Herzogsägmühle in die Regionen, Städte und Kommune hinein. Im letzten Jahrzehnt war das auch die Ausdifferenzierung der ambulanten und stationären Wohnungslosenhilfe in bayernweiter Vernetzung. Im Lernort Sozialdorf Herzogsägmühle haben wir unsere Geschichte der Sozialen Arbeit aufgearbeitet und erlebbar gemacht – um ein paar meiner Herzensanliegen der letzten Jahre zu nennen.
In der Veränderungsdynamik, in der wir uns innerhalb der Diakonie München und Oberbayern derzeit befinden, geht es mir jetzt darum, diesen besonderen "Ort zum Leben" durch die Beteiligung und Mitbestimmung der Herzogsägmühler Bürgerinnen und Bürger weiterzuentwickeln. Herzogsägmühle in ihrer Besonderheit in der Unternehmensgruppe bei allen notwendigen Umbauprozessen zu erhalten und auszugestalten bleibt mir ein zentrales und wichtiges Anliegen. Ich würde es bildhaft beschreiben: Herzogsägmühle als ganz besonderen „Stern“ innerhalb der Unternehmensgruppe gut zu etablieren. Diesen notwendigen Prozess mitverantworten zu können, das ist mir das Engagement wert. Da bringe ich gerne auch weiterhin die "Extraschippe" Energie und Einsatz auf.
Was zeichnet für Sie den Spirit der Diakonie Herzogsägmühle aus?
Der besondere Spirit ist sicherlich dieses von Anfang an integrative Element. Wir verstehen uns als Dorf und die Bürgerinnen und Bürger dieses Dorfes sind die hier lebenden Menschen mit und ohne Erkrankungen, Beeinträchtigungen und besonderen Bedarfe genauso wie die Mitarbeitenden. Dörfer leben ja von dem Vernetzten, der Sozialstruktur. Menschen sind aufeinander angewiesen, aber es ist auch ein Wille und eine Lust dahinter, das Leben gemeinsam zu gestalten. Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen stehen leider immer noch häufig am Rand von solchen Gemeinschaften. Bei uns sind sie mitten drin und gestalten die Gemeinschaft mit, sie sind von Anfang an ein Teil von Herzogsägmühle. Menschen kommen gern hierher um hier zu leben, sie wählen diesen Ort aktiv für sich aus, sie wollen hier oder in den zu uns gehörenden Einrichtungen und Orten in der Region leben. Dieses Miteinander, dieses Wachsen, Lernen, gemeinsam unterwegs sein, kombiniert mit dem spirituellen Element der Zugehörigkeit in der Gemeinschaft der evangelischen Kirche. Das ist der sehr besondere Spirit. Alle, die mal hier bei uns waren und diese Gemeinschaft und diesen Ort erlebt haben, können das bestätigen.
Der Aufsichtsratsvorsitzende Peter Gleue hat Ihnen bei Ihrer Einführung ein Motto mit auf den Weg gegeben: "Wer immer auf dem gleichen Weg geht, bleibt auf der Strecke. Umwege dagegen erhöhen die Ortskenntnisse." Welche neuen Wege wollen sie gehen? Was sind Ihre Ziele und auf welche Umwege bereiten Sie sich vor?
(Lacht) Ob es Umwege sind, mal schauen. Ich denke, es gibt keine vorbestimmten Wege. Ein neuer Weg ist für mich jedenfalls, dass wir durch die neue Herzogsägmühler Geschäftsführungsstruktur mit meiner Kollegin Andrea Betz und meinem Kollegen Hans Rock als ein Team Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf mehrere Schultern verteilen. Wir werden vermehrt mit agilen Formen der Führung arbeiten, das heißt, das dezentrale, bewegliche und selbstorganisierte Element im Unternehmen weiter stärken.
Ebenso zentral ist für mich, dass wir ökonomische Resilienz wiedererlangen. Damit meine ich die Stärkung der ökonomische Widerstandskraft des Unternehmens in sich schnell verändernden Umwelten. Wir sind in den letzten Jahren sehr schnell gewachsen. Im Gegenzug haben Krisen wie die Corona-Pandemie, der Fachkräftemangel, aktuell die Energiekrise mit ihren wirtschaftlichen Verwerfungen und Kostensteigerungen bei uns deutliche Spuren hinterlassen. Es gilt daher, wieder in eine gesunde Stabilität zu kommen und die wirtschaftliche Resilienz wiederherzustellen, um mit zukünftigen Krisen und Anforderungen rechtzeitig und sicher umgehen zu können.
Weiteres Thema wird sein, dass wir die Veränderungen von Hilfebedarfen in den Regionen, in denen wir tätig sind, noch mehr in den Blick nehmen. Dazu gehört, nicht nur als Herzogsägmühle, sondern auch als Diakonie München und Oberbayern mit all den ausdifferenzierten Angeboten von der Hilfe im Alter bis zu Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe sowie den Ausbildungs- und Arbeitsangeboten wahrgenommen zu werden - als attraktiver Arbeitgeber für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für interessierte Menschen, die zukünftig bei uns arbeiten möchten. Neue Wege werden wir auch durch die Veränderungen in der Sozialgesetzgebung gehen, wie zum Beispiel durch das neue Bürgergeld, das Bundesteilhabegesetz, das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz usw. Die Novellierung der unterschiedlichen Sozialgesetze erfolgt in den letzten Jahren mit immer höherer Taktung und fordert von uns laufend eine Anpassung der Hilfeprozesse, um unsere Hilfeangebote weiterhin aufrecht erhalten zu können – ein permanenter Kraftakt.
Das Jahresmotto der Diakonie Herzogsägmühle lautet "Wandel mutig gestalten". Was bedeutet Mut für Sie?
Das Thema Mut, das steckt in uns drin! Als ehemalige Arbeiterkolonie trauen wir uns Dinge, sind pionierhaft unterwegs und haben immer einen guten Bezug zu unserem zentralen Auftrag: die hilfeberechtigten Menschen, um die es geht. Gemeinsam gestalten wir immer wieder neue Wege und Lösungen. Kombiniert mit dem Zutrauen, dass eine göttliche Kraft mit uns ist, auf die wir vertrauen können. Dieser Mut zum Wandel und dieses Miteinander sind Teil der besonderen DNA Herzogsägmühle.
Der Fachkräftemangel trifft viele Branchen hart – auch den sozialen Bereich. Was raten Sie Menschen, die überlegen mit und für Menschen in Herzogsägmühle zu arbeiten?
Menschen, die hier im ländlichen Raum Arbeit suchen, sind oft ortstreu und wollen hier in der Region bleiben, und das oft über Generationen hinweg. Wenn wir die Menschen überzeugen, dass es wert ist, hier bei uns zu arbeiten, dann geht es häufig auch weiter in die nächste Generation. Das ist für uns ein großes Plus und auch eine Möglichkeit, Menschen zu motivieren, bei uns zu arbeiten. Umgekehrt kommen auch Menschen aus anderen Teilen Deutschlands gern in unserer Region mit hohem Freizeitwert und touristischen Attraktionen und sie bringen neue und andere Sichtweisen mit. Daher würde ich zweierlei betonen: Hier können die Menschen in einem großen Sozialunternehmen arbeiten, in dem sie viele Möglichkeiten haben, sich weiterzuentwickeln und mitzubestimmen, zudem können sie ortsnah in ihrem eigenen Lebensraum hohe Lebensqualität genießen. Die Größe des Unternehmens bietet sowohl fachliche als auch örtlich unterschiedliche Aufgaben und Herausforderungen, sowie Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Für Herzogsägmühle, unsere Mitarbeitenden und auch unsere hilfeberechtigten Menschen ist es ein großer Pluspunkt, dass Mitarbeitende auch in verschiedenen Lebensphasen bei uns als familienfreundliches Unternehmen langfristig bleiben können.
von: Interview: Luise DirscherlDiakonie München und Oberbayern - Innere Mission München e.V.
Landshuter Allee 40
80637 München