Ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine

Was sich im Bereich Flucht und Migration verändert hat

Mit "Welcome"-Schildern drückten viele Menschen und Einrichtungen ihre Solidarität mit den geflüchteten Menschen aus der Ukraine aus. Foto: Andreas Gebert

Am 24. Februar jährt sich der russische Überfall auf die Ukraine. Wie sich die Arbeit im Bereich Flucht und Migration dadurch verändert hat, schildern Sarah Weiss und Lisa Ramzews, die den Geschäftsbereich Flucht und Migration leiten.

Mehr als acht Millionen Menschen mussten die Ukraine seit dem russischen Angriff auf die Ukraine verlassen – so die Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR.

"Das Jahr 2022 hat viel in Bewegung gebracht. Ich denke, man kann, auch für den Bereich Flucht und Migration von einer Art Zeitenwende sprechen", sagt Sarah Weiss. Die Juristin leitet den Geschäftsbereich Flucht und Migration bei der Diakonie München und Oberbayern. Neben den Menschen, die seit 24. Februar 2022 aus der Ukraine fliehen mussten, sei auch die Zahl von Asylsuchenden aus anderen Ländern im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegen. Aus der Ukraine stammen derzeit rund 800 der Menschen, die das Team der Diakonie in den dezentralen Unterkünften begleitet. Davon sind allein rund 400 in München untergebracht.

Aktuell begleitet der Sozialdienst für Flüchtlinge der Diakonie München und Oberbayern rund 6700 geflüchtete Menschen an 45 unterschiedlichen Standorten. Diese befinden sich derzeit in der Stadt München sowie in den Landkreisen München, Starnberg und Weilheim-Schongau. Die Mitarbeitenden beraten die Geflüchteten zum Beispiel im Asylverfahren, bei der Arbeits- und Wohnungssuche, sie dolmetschen, helfen beim Deutschlernen. Ende des Jahres 2016, also nach der großen Fluchtbewegung von 2015/16, waren es insgesamt etwa 4900 Menschen. Damals konzentrierte sich die Arbeit noch auf die Stadt und den Landkreis München.

Doch nicht nur die Zahlen der geflüchteten Menschen habe zugenommen, gleichzeitig sei auch das System komplizierter geworden, erklärt Lisa Ramzews. Die stellvertretende Leiterin des Geschäftsbereichs Flucht und Migration leitet den Sozialdienst für Flüchtlinge. Dessen Mitarbeiter*innen unterstützen Asylsuchende unter anderem im Asylverfahren und bei der Arbeitssuche. "Wir sind inzwischen in unserer Arbeit mit zwei Parallelsystemen konfrontiert: eines für geflüchtete Menschen aus der Ukraine und ein System für die Geflüchtete aus anderen Staaten und für beide Systeme gelten unterschiedliche Regelungen." So hätten geflüchtete Menschen aus der Ukraine im Vergleich zu Asylsuchenden aus anderen Staaten einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Sozialleistungen und auch sehr schnell einen sicheren geregelten Aufenthalt. "Das erleichtert die Integration. Deshalb müssen diese Maßnahmen für alle gelten – unabhängig vom Herkunftsland. Es darf kein Zweiklassensystem geben", fordert Weiss.

Schwerkranke und pflegebedürftige Geflüchtete

Die Leiterin des Geschäftsbereichs Flucht und Migration hat im vergangenen Jahr schon früh erkannt, dass es einen weiteren Unterschied zu bisherigen Fluchtbewegungen gibt: Aus der Ukraine kommen mehr ältere, schwerkranke und pflegebedürftige Menschen. Das hänge mit dem kürzeren Fluchtweg zusammen und auch damit, dass viele Geflüchtete mit Auto gekommen seien. Damals, im April 2022, knapp zwei Monate nach dem russischen Überfall, gab es keine barrierefreien, behindertengerechten Unterkünfte. Weiss bilanzierte: "Wir sind als Gesellschaft bisher nicht genügend auf ältere geflüchtete Menschen vorbereitet." Inzwischen habe die Stadt reagiert und mit der Gemeinschaftsunterkunft im Hotel Regent gibt es eine Einrichtung, die sich speziell an pflegebedürftige geflüchtete Menschen und ihre Angehörigen richtet. Dort leben 200 pflegebedürftige Menschen aus der Ukraine.

Insgesamt begleitet die Diakonie München und Oberbayern etwa 400 schwerkranke und pflegebedürftige Menschen, rund die Hälfte von ihnen kommt aus der Ukraine.

Zu wenig Wohnraum

Sarah Weiss erwartet, dass das Thema Älterwerden und Pflege künftig eine immer größere Rolle spielen wird und spricht eine weitere Herausforderung an, die sich in den vergangenen Monaten verstärkt hat. Den Mangel an Wohnraum. "Viele Menschen, die bei uns Schutz suchen, werden perspektivisch keine eigene Wohnung finden. Wir erleben schon jetzt, dass viele über Jahre in Gemeinschaftsunterkünften wohnen müssen, obwohl sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, arbeiten gehen. Es gibt einfach zu wenig Wohnraum. Das betrifft ja nicht nur geflüchtete Menschen. Die Frage ist, wohin sie ziehen, wenn sie älter oder pflegebedürftig werden." Wohin mit den Menschen? Diese Frage treibt derzeit viele Kommunen um. "Wo es geht werden gerade Leichtbauhallen und Containerunterkünfte hochgezogen. Eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht", sagt Weiss.

Recht auf Asyl

Was sie sich für ihre Arbeit wünscht? Lisa Ramzews muss schmunzeln, als sie diese Frage hört. "Den Weltrieden natürlich. Dann hätten wir keine Arbeit mehr." Aber nein, sie weiß, dass das naiv wäre. Und sagt ernst: "Unsere Aufgabe ist, dass wir geflüchtete Menschen sozial adäquat beraten können. Dafür brauchen wir auch in den Landkreisen einen Betreuungsschlüssel von mindestens 1:100, ähnlich wie in der Stadt München. Ich wünsche mir für alle adäquate Betreuung, damit sie etwas aus ihrem Leben machen und selbstbestimmt sein können, mit uns den Fachkräftemangel bekämpfen, und unser Land dann auch als ihr Land begreifen und zu unserer Gesellschaft gehören."

von: Christine Richter

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