Ehrenamtlich bei der Bahnhofsmission

Von schönen und traurigen Momenten

Camilla Schneider ist Vikarin bei der Reformations-Gedächtnis-Kirche in Hadern. Foto: Michael Netzhammer

Die Vikarin Camilla Schneider engagiert sich in der Münchner Bahnhofsmission. Sie gibt Essen aus, streicht Brote und putzt. Im Rahmen des Wärmewinters von EKD und Diakonie hat sie außerdem Spenden für die Bahnhofsmission gesammelt. Denn dort kommen immer mehr Menschen vorbei, weil das Geld nur noch bis zur Mitte des Monats reicht.

Neun Menschen stehen in der Schlange vor der Tür. Durch die Klappe fragt Camilla Schneider den etwa 50-Jährigen in dem Wintermantel, was er wolle. "Einen Kaffee mit Milch hätte ich gerne", sagt er. "Und ein Käsebrötchen." Die 31-Jährige gießt Kaffee in den Becher und greift ein verpacktes Brötchen. Der Nächste möchte neben dem Kaffee auch einen Schal. Sie öffnet zwei Schubladen und hält diverse Schals empor. Einer gefällt. Der Mann nimmt den Schal. Die Nächste ist an der Reihe.

Elisabeth Waldmann* ist 68 Jahre alt, trägt eine modische Baseball-Kappe und kommt einmal in der Woche zur Bahnhofsmission. Sie nimmt einen Kaffee, etwas Süßes und einige Scheiben Brot. "Die haben hier gespendetes Pfister-Brot, da kostet der Laib sonst zwölf Euro", sagt sie. Wie sie es sagt macht klar, ein solches zu kaufen ist nicht drin. Sie packt die Scheiben in ihren Handwagen, für den Kaffee setzt sie sich an Gleis 11 auf eine Bank, schaut in die Bahnhofshalle, die Bahnhofsmission im Rücken.

Gegründet vo 126 Jahren: Junge Mädchen und Frauen schützen

Die gibt es inzwischen seit 126 Jahren. Initiiert hat sie die Politikerin und Frauenrechtlerin Ellen Ammann. 1897 entstanden am Hauptbahnhof sowohl die Katholische Bahnhofsmission als auch die Evangelische Bahnhofsmission, die heute Räume und Aufgaben an Gleis 11 teilen. Ihr Ziel damals war: Junge Mädchen und Frauen vom Land vor organisierten Menschenhändlern und Prostitution zu schützen.

Der Schutz von Frauen ist auch heute ein wichtiges Anliegen. Von gestern auf heute haben sechs wohnungslose Frauen im Warteraum auf Isomatten unter warmen Decken geschlafen. Acht solcher Schlafplätze gibt es. Bis acht Uhr morgens können sie dort bleiben. Um die Bettwäsche kümmert sich nun Camilla Schneider. Sie läuft den langen Gang hinab. Nach dem Warteraum folgen die Büros 1 bis 3. Hier beraten die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen Menschen, die Probleme mit den Behörden, keine Wohnung oder Geld haben oder in München ihr Glück nicht fanden und nun in ihre Heimat zurückwollen.

"Ich liebe diese ganz praktische Hilfe"

Camilla Schneider wirft Leintücher und Bettbezüge in die Trommel. Gleich wird sie Brote schmieren. Seit vier Jahren machten sie das. Was ihr daran gefällt? "Ich liebe diese ganz praktische Hilfe, Essen ausgeben, Brote schmieren, mit den Menschen einige Worte wechseln oder jemanden zum Gleis begleiten", sagt sie. Es gibt schöne Momente, wenn sich jemand über ein Käsebrötchen freut und die traurigen, wenn "Menschen zum Beispiel psychische Probleme haben und wir wenig für sie tun können."

Dieses Wechselbad der Gefühle hat sie sich bewusst ausgesucht. Weil es einen scharfen Gegensatz zu ihren Promotionsjahren über Lutherdenkmäler im 19. Jahrhundert bildete. Als Vikarin in der Reformations-Gedächtnis-Kirche in Hadern hat sie weniger Zeit für ihre Ehrenamt. Doch die Bahnhofsmission bleibt ihr wichtig.

Zusammen mit ihrem Mentor Pfarrer Michael Trimborn hat sie deshalb vor Weihnachten eine Spendenaktion zugunsten der Bahnhofsmission im Rahmen der EKD-Aktion #Wärmewinter gestartet. "Rund 2.000 Euro sind darüber zusammengekommen. Damit konnte die Bahnhofsmission Schlafsäcke, Mützen, Schals, Handschuhe, aber auch Lebensmittel und Hygieneartikel kaufen", freut sie sich.

Vor der Inflation kam die Menschen am Monatsende. Heute manche schon nach zehn Tagen

Wie wichtig solche Spenden sind, weiß Barbara Thoma vom Evangelischen Hilfswerk. Zusammen mit Bettina Spahn von IN VIA München leitet sie die Bahnhofsmission. "Vor der Inflation sind viele Menschen Ende des Monats zu uns gekommen, heute klopfen manche bereits nach zehn Tagen bei uns an", sagt Thoma. Rund 186.000 Kontakte hat die Bahnhofsmission 2022 gezählt, über 50.000 mehr als noch 2019.

"Manchmal ist die Not beklemmend", sagt Camilla Schneider. Sie will die Probleme aber nicht nur benennen, sondern vor allem etwas tun. Dafür ist die Bahnhofsmission ein guter Ort. Hier trifft sie aber auch engagierte Menschen, mit denen sie lachen und eine gute Zeit verbringt. Nicht allen, die an die Tür kommen, kann sie helfen, aber jedes gute Wort, jeder warme Kaffee, der ein Lächeln in das Gesicht der kommenden Menschen zaubert, ist ein gutes Gefühl. Das will sie nicht missen.

 

*Name geändert

von: Michael Netzhammer

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