Warum brauchen wir Drogenkonsumräume?
Interview mit Wolfgang Schuppert
In Bayern gibt es derzeit keine Drogenkonsumräume. Dabei tragen diese dazu bei, die gesundheitlichen und sozialen Folgen des Drogenkonsums zu senken, erklärt Wolfgang Schuppert, Leiter des Geschäftsbereichs Sozialpsychiatrie, Sucht und Gesundheit der Diakonie Herzogsägmühle.
Herr Schuppert, "Konsumräume retten Leben!", so lautet der Titel einer Petition, die sich an den Freistaat wendet. Warum brauchen wir aus Ihrer Sicht Drogenkonsumräume?
Es gibt einen bestimmten Teil der drogenabhängigen Menschen, die durch die etablierten Angebote der Suchthilfe, wie Beratung und Rehabilitation, nicht erreicht werden können. Sie schaffen es nicht abstinent zu leben, konsumieren intensiv und riskant, gefährden dadurch ihr Leben, aber auch Andere, zum Beispiel durch liegen gelassenes Spritzbesteck. Häufig findet der Konsum im öffentlichen Raum im Rahmen sehr schädlicher Szenestrukturen statt, die von Ausbeutung und Gewalt, insbesondere Frauen gegebenüber, geprägt sind. Die Konsumräume sind für Menschen gedacht, die es auf aufgrund der Schwere ihrer Suchterkrankung nicht schaffen, sich aus solchen Strukturen zu lösen, denen es sehr schwerfällt abstinenzorientierte Unterstützung anzunehmen, zu wohnen, zu arbeiten und in stabilen Beziehungen zu leben. Wenn wir Konsumräume einrichten, ermöglichen wir "Harm Reduction", das heißt, wir senken die gesundheitlichen und sozialen Folgen des Drogenkonsums, für die Konsument*innen, aber auch für die Bevölkerung. Dort können wir sie niederschwellig erreichen, etwa durch ein warmes Essen, ein freundliches Gespräch. Ausliegendes sauberes Spritzbesteck senkt das Infektionsrisiko zum Beispiel mit Hepatitis C. Wenn sie dann zur Ruhe kommen und Vertrauen fassen, kann auch das etablierte Hilfesystem besser andocken.
Das klingt so, Drogenkonsumräume auch ordnungspolitisch Sinn machen. Dennoch sind sie in Bayern derzeit nicht erlaubt. Woran liegt das?
Aus meiner Sicht schwingt da immer etwa Moralisierendes mit. Suchterkrankungen werden stark stigmatisiert. Nach dem Motto: "Eigentlich ist jeder selbst schuld." Es heißt dann, wenn die Menschen nur wollen würden, dann kämen sie auch von den Drogen los, Angebote für den Ausstieg gäbe es ja genug. Nach dieser Logik wird dann mit Repression reagiert. Diese Rechnung geht nicht auf, denn Sucht ist eine Krankheit und Repression ist nicht geeignet, um abhängigen Konsum zu beenden. Außerdem wird befürchtet, dass im Umfeld der Konsumräume neue Hotspots der Drogenszene entstehen. Dieser dann offen sichtbare Konsum würde insbesondere Jugendliche animieren ebenfalls Drogen zu konsumieren. Drogenkonsum ist jedoch Teil unserer Gesellschaft. Viel wahrscheinlicher werden Jugendliche erstmals mit einem Drogenangebot in der Schule, auf der Straße oder im Club durch Bekannte und Freunde konfrontiert. Erfahrungen zu Drogenkonsumräumen bundesweit und in anderen europäischen Ländern zeigen, dass diese Bedenken nicht begründet sind.
Sie arbeiten seit beinahe 30 Jahren mit Menschen, die suchtkrank sind. Wie ist ihre Einschätzung, würden diese überhaupt Konsumräume annehmen?
Die Drogenszene auf der Straße ist auch für die Konsument*innen nicht attraktiv. Wenn Konsumräume nach professionellen Standards geführt sind, kein Veränderungsdruck ausgeübt wird und gute Absprachen mit der Polizei bestehen, werden diese Orte sehr gut angenommen. Entscheidend ist das Vertrauen. Die Klient*innen müssen sich darauf verlassen können, dass diese Räume wirklich frei von Repressionen sind und dass sie dort so angenommen werden wie sie sind.
Jetzt haben wir vor allem darüber gesprochen, was notwendig ist, wenn Menschen bereits eine Suchterkrankung haben. Was muss getan werden, um diese mehr zu verhindern?
Prävention setzt für mich ganz früh an, in den Familien. Wenn Kinder erleben, dass die Eltern eine sehr lockere, uneingeschränkt positive und unkritische Haltung zum Konsum einnehmen, diesen möglicherweise in dieser Form auch vorleben, dann nehmen sie es als normal wahr, lernen am Modell. Paare sollten sich daher mit Familiengründung überlegen, wie sie damit umgehen wollen. Wichtig ist, dass Kinder früh lernen Frustration, Stress oder Langeweile aus eigener Kraft heraus zu bewältigen. Dabei sind vor allem auch die viel akzeptierteren Suchtmitteln wie Alkohol und Zigaretten in den Blick zu nehmen. Was hier viel gebracht hat, ist die Einschränkung von Werbung, der Griff zum Suchtmittel sollte nicht als selbstverständlich gezeigt werden. Ansetzen kann man auch bei der sogenannten Griffnähe: Prohibition hat nicht funktioniert, aber muss die Schnapsflasche wirklich an der Kasse stehen, auch für Kinder gut sichtbar? Ich denke nicht.
Herr Schuppert, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person
Wolfgang Schuppert leitet den Geschäftsbereich Sozialpsychiatrie, Sucht und Gesundheit der Diakonie Herzogsägmühle, mit Angeboten wie Suchtberatung, Substitutionsambulanz, Kontakt- und Begegnungsstätte, verschiedenen Unterstützungsangebote beim Wohnen und Arbeiten. Zuvor leitete er u.a. die medizinische Jugendrehabilitation Herzogsägmühle und war als Suchttherapeut auch in leitender Funktion 13 Jahre in der Fachklinik Fasanenhof, Rehabilitation für junge Suchtkranke, tätig. Seit 11 Jahren ist er zudem Lehrbeauftragter für Klinische Sozialarbeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Schuppert studierte Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Rehabilitation an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München.
Interview: Christine Richter
Diakonie München und Oberbayern - Innere Mission München e.V.
Landshuter Allee 40
80637 München