Ein Versprechen für die Ewigkeit
Totensonntag auf dem Friedhof Herzogsägmühle
Was macht einen berühmten Friedhof aus? Zum Beispiel alte Parkanlagen, bedeutende Tote, beeindruckende Mausoleen, kunsthistorische Denkmäler. All das gibt es auf dem Friedhof in Herzogsägmühle nicht. Dennoch ist es ein besonders beseelter Ort. Denn er legt Zeugnis ab von einem großen Versprechen.
Eigentlich hätte der Friedhof in Herzogsägmühle einen großen Trumpf, um es auch einmal auf die regelmäßig wieder heraufbeschworenen Rankings der berühmtesten Ruhestätten zu schaffen: Seine Lage. Auf dem höchsten Punkt zwischen dem Dorf Herzogsägmühle und seinen landwirtschaftlichen Betrieben, dem sogenannten "Obland", bietet sich dem Besucher Richtung Süden ein Panorama, das jedes der umliegenden Gasthöfe aussticht: Ammergauer und Allgäuer Alpen, Karwendel- und Wettersteingebirge in der Ferne wenig Störendes im Blick, obwohl das Sozialdorf Herzogsägmühle mit Schulen, Einrichtungen und Läden sowie der Mutterort Peiting nur einen Steinwurf weit weg sind. Man wähnt sich im Vorhof des Himmels.
Ein Friedhof der Heimatlosen?
Wenn man es schafft, den Blick vom Panorama auf die Friedhofsanlage selbst zu richten, offenbart der Friedhof einen ganz eigenen Charakter. In seiner exponierten Lage beherbergt er unter dem Schutz alter Buchen, Eichen und Nadelhölzer auf unebenem Gelände, einige klassische Gräber mit Gedenkstein und einige „naturnahe“ Gräber. Vor allem aber beherrschen gleich gestaltete Einzelgräber das Bild Ruhestätten mit schlichter Einfassung. Die Bepflanzung ist fast identisch, die soliden kupfergedeckten Holzkreuze erzählen jedoch, dass die Toten hier aus ganz Deutschland, ja aus den verschiedensten Ländern stammen.
Diakon Willi Fichtner war von 1971 bis 2006 in verschiedenen Bereichen leitender Mitarbeiter in Herzogsägmühle, zuletzt als Fachbereichsleiter der Altenhilfe. Seit 2012 engagiert er sich im Arbeitskreis Dorfgeschichte und ist die treibende Kraft hinter dem in Entstehung befindlichen digitalen Archiv. Fichtner kannte viele der Menschen, die das Schicksal nach Herzogsägmühle gebracht hat. Beim Spaziergang über den Friedhof könnte er in diesen milden Herbsttagen viele dieser Geschichten nacherzählen, tragische Familienkonstellationen, Biografien illustrer Persönlichkeiten, fragmentierte Lebensläufe, gekappte Verbindungen. Aber für ihn sind es nicht die individuellen Schicksale der Toten, die die Atmosphäre des Friedhofs ausmachen.
Eine Kultur zeigt ihren Wert im Umgang mit ihren Toten
Während eine Gruppe junger Leute fröhlich die Wege frei recht erläutert Fichtner, dass der Friedhof der Spiegel eines besonderen Dorfes ist; im Dorf wie im Friedhof bilden gewöhnliche Bürger mit Mitarbeitern der diakonischen Einrichtungen und ihren Bewohnern eine besondere Gemeinschaft. Und wenn sich bunte Stiefmütterchen Ende November überall noch mit Kraft gegen das schwere Herbstlaub stemmen, liegt das nicht nur an der milden Witterung dieses Herbstes, sondern in erster Linie an der liebevollen Pflege, die die Gräber hier genießen.
Wer mit einem Hilfebedarf nach Herzogsägmühle kommt und hier Orientierung, Förderung, Ausbildung, Therapie, Pflege und – im besten Fall – Heimat findet, der muss sie nicht mehr verlieren. Menschen mit Behinderungen, seelischen Erkrankungen, Suchtproblemen, Menschen im Alter sowie in Krisensituationen finden hier ein Zuhause. Bei weitem nicht alle von ihnen schaffen es, eigene Rücklagen für eine würdevolle Beerdigung anzulegen. Viele haben keine Verbindung mehr zu ihren Angehörigen. Auch wenn dann die öffentliche Hand für die Beerdigungskosten einsteht, bleibt die Frage des Unterhalts für ein Grab.
Erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts verzichten viele Gemeinden auf Armenbestattungen in separaten Arealen, um die Würde der Verstorbenen zu achten und deren Angehörige nicht sozial auszugrenzen und zu stigmatisieren. In Herzogsägmühle gab es solche Trennungen von Anfang an nicht. Die Würde des Menschen steht über den Tod hinaus im Vordergrund. So ist in Herzogsägmühle für jede Person ein eigenes Grab vorgesehen. Dies stand auch nicht infrage, als der Friedhof mit seinem Platzangebot kurzfristig an seine Grenzen kam. Für eine Ruhezeit von 30 Jahren hilft die Gemeinschaft zusammen, um den würdevollen Charakter der Ruhestätten zu bewahren. Die Landschaftsgärtner der Gärtnereibetriebe kümmern sich um Bepflanzung und Pflege. Die Kreuze stammen aus der Herzogsägmühler Schreinerei. Mit Spenden versucht die Diakonie Herzogsägmühle, den würdevollen Charakter von Abschiedszeremonie und Grabpflege zu sichern.
„Die Beschäftigung mit dem Tode ist die Wurzel der Kultur“, schrieb seinerzeit der Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt. Anders gesagt: Wie wir unsere Toten ehren, sagt mehr über uns aus als über den Toten. Insofern ist ein Spaziergang auf dem Friedhof in Herzogsägmühle eine wahrhaft tröstende Angelegenheit.
von: Dr. Barbara EschlbergerDiakonie München und Oberbayern - Innere Mission München e.V.
Landshuter Allee 40
80637 München