Alt und Neu – ein Gegensatz?

Gedanken zum Jahresanfang aus der neuen alten Licht- & Wachsmanufaktur Herzogsägmühle

Betriebsleiter Marc Sieling und sein Stellvertreter Daniel Thurnhofer in der Licht- & Wachsmanufaktur Herzogsägmühle. Foto: Dr. Barbara Eschlberger

Der Januar ist der Monat des Neubeginns. Alle Zeichen stehen auf Reset, das Vergangene bekommt den Stempel des Unguten. Wer das Alte achtlos abtut, vergibt dabei aber so einige Chancen. Die wiedereröffnete Licht- & Wachsmanufaktur Herzogsägmühle zeigt, wie vielfältig Alt und Neu miteinander in Beziehung stehen.

Es beginnt beim Aufräumen nach Weihnachten. Kerzen sind trotz allen technischen Fortschritts aus der Kultur des Menschen nicht wegzudenken. Zwischen zwei und drei Kilo Kerzen werden in Deutschland pro Kopf jährlich verbraucht. Die Reste landen nicht selten beim Ausmisten zwischen den Jahren auf den Deponien. 

Neue Produkte aus altem Material

Für die Herstellung von Kerzen sind jedoch Rohstoffe erforderlich, die nicht ohne Weiteres unendlich zur Verfügung stehen. Der Großteil aller Kerzen weltweit ist aus Paraffin, einem Nebenprodukt der Erdölindustrie. Entsprechend verbinden sich mit diesem Material Preisschwankungen und negative Umweltaspekte. Das wertvollste Kerzenmaterial, das Bienenwachs, wird mit dem weltweiten Bienensterben immer seltener. Daniel Thurnhofer stellvertretender Leiter der Licht- & Wachsmanufaktur erklärt zudem, dass Bienenwachs meist von weit her importiert werden muss, weil es die Imker hierzulande für Reparaturen in ihren Bienenstöcken verwenden. Es blieben noch pflanzliche Wachse aus Rohstoffen wie Raps und Palmfett. Rapsfelder wiederum belasteten die Umwelt durch Monokulturen und den massiven Einsatz von Pflanzenschutzmitteln; für den Anbau von Ölpalmen wiederum werde der Regenwald in großem Stile abgeholzt. Seit langem setzt die Licht- & Wachsmanufaktur deshalb auf Produkte aus Altwachs. Bis zu 50 Tonnen aus ganz Deutschland, gesammelt von Firmen, Kirchengemeinden und Privatpersonen, finden seit vielen Jahren den Weg nach Herzogsägmühle. In der Licht- & Wachsmanufaktur werden sie eingeschmolzen, gereinigt und zu Fackeln, Flammschalen und Anzündern für den Außenbereich sowie Ofenanzünder verarbeitet. Das gesamte Outdoor-Segment besteht zu 100% aus recyceltem Wachs und erfreut sich wachsender Beliebtheit. 2018 bereits wurden die Produkte von der Hans Sauer Stiftung zur Förderung von Social Design und Sozialräumen in Deutschland ausgezeichnet.

Neues Leben für alte Handwerkstraditionen

Wer die modernen, hellen Werksräume der Manufaktur betritt, dem fällt auf, dass unter den Outdoor-Produkten in modernem Design viele Wachsprodukte mit traditionellen Motiven stehen. Die Manufaktur sieht sich als Nachfolger in der Tradition der Schongauer Wachswarenfabrik, in der schon im 16. Jahrhundert unter anderem Reliefkerzen gefertigt und Wachsbilder bemalt worden waren. Daniel Thurnhofer fertigt diese als gelernter Wachsbildner nicht nur für die Wies- und andere Kirchen Osterkerzen. Thurnhofer berichtet von einer wieder steigenden auch privaten Nachfrage nach handgefertigten Tauf- Jubiläums- und Trauerkerzen. Für diese Aufträge setzt er sich mit jahrhundertealten Formen und Mustern auseinander und entwickelt sie weiter. Individuelle Gestaltungswünsche werden dabei gerne entgegengenommen. 

Ein Unglück als Impuls

Massenprodukte wie Teelichte bilden das dritte Produktsegment in der Manufaktur. Hier wie in der Altwachsaufbereitung bietet die Manufaktur in familiärer Atmosphäre Arbeitsplätze für rund 30 Beschäftigte, die den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht gewachsen sind. Bis zu 8.000 Teelichte laufen bei Licht&Wachs täglich von der halbautomatischen Fertigungsstraße. Der soziale Aspekt erstreckt sich dabei auch auf die Käufer: Ein farbiger Docht hilft Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen oder auch bei schwierigen Lichtverhältnissen, die Kerzen besser anzünden zu können. Zudem werden die Teelichte mit austauschbarem Glasbehälter geliefert, um Aluminiummüll zu vermeiden. Eine Idee, die die internationale Jury des Preises "Universal Design" überzeugt hat. Der Docht der Teelichte wird übrigens von Hand gesteckt. Stück für Stück. Außerdem werden die Teelichte im Sinne der Müllvermeidung ohne Aluminiumhülle geliefert, stattdessen werden Glasbehälter oder Edelstahlbecher angeboten. Alle Metallgießformen werden ebenfalls in Herzogsägmühle gefertigt. 

Bei all dem, was hier aufgebaut worden ist, mussten Betriebsleiter Marc Sieling und sein Stellvertreter Daniel Thurnhofer bereits einen herben Rückschlag verwinden. 2019 legte ein Großbrand die Manufaktur in Schutt und Asche. Alte Formen, Muster und Geräte waren gottlob in einem anderen Gebäude gelagert. Es folgten aber fast 1700 Tage voller Kompromisse in Behelfsproduktionsräumen, wirtschaftliche Einbußen und Herausforderungen. Erst kurz vor Weihnachten konnte die Manufaktur ihre alten Türen wieder neu öffnen. Das Unglück hat Sieling genutzt, um die Arbeitsbedingungen für die Angestellten, z.B. durch die Schaffung von Rückzugs- und Pausenräumen weiter zu verbessern. Ein Werksverkauf wurde eingerichtet, sodass Kunden die Produktion und die Mitarbeiter wiederum den Verkauf miterleben. Großer Stolz spricht aus ihren Gesichtern.

Im nächsten Schritt will Sieling in den renovierten Räumen auch alte mechanische Kerzen-Handzugbank aus Holz wieder in Betrieb nehmen, die vollautomatisierte Betriebe aussortieren. Die Geschichte von Alt und Neu geht also weiter.

von: Dr. Barbara Eschlberger

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