"Führungskraft zu sein, ist nicht einfach nur ein Schritt auf der Karriereleiter"

Im Interview: Ulrike Stühmeyer-Pulfrich

Ulrike Stühmeyer-Pulfrich ist Vortständin für Personal und Bildung. Foto: Rudolf Grillborzer

Ulrike Stühmeyer-Pulfrich verantwortet seit Januar den Bereich Personal und Bildung im Vorstand der Diakonie München und Oberbayern. Im Gespräch verrät sie, warum Sie manchmal mit dem Begriff Human Resources hadert und warum Sie sich auf Bayern freut.

Frau Stühmeyer-Pulfrich, Sie hatten im Januar ihren ersten Arbeitstag bei der Diakonie München und Oberbayern. Wie haben Sie sich vorbereitet?

ULRIKE STÜHMEYER-PULFRICH: Der erste Tag in einer neuen Rolle ist natürlich etwas Besonderes. Zumal in dieser neuen Rolle. Ich bin mir bewusst, dass da auf mich geschaut wird. Aber, was ich wirklich sagen muss: Ich habe mich vor allem gefreut, jetzt endlich anfangen zu können.

Die Rolle als Vorständin für Personal und Bildung ist ja sowohl für Sie neu als auch für das Unternehmen.

Genau. Ich muss schon sagen, es ist schon sehr progressiv. Nach meiner Kenntnis sind wir damit eine der ersten diakonischen Organisationen, die das Thema Personal so prominent im Vorstand platzieren. Ich glaube, dass wir damit eine gute Vorreiterrolle einnehmen und auch eine gewisse Strahlwirkung in das soziale Unternehmertum entfalten können.

Sie werden in den kommenden Wochen vor allem herumreisen und die unterschiedlichen Bereiche und Einrichtungen kennenlernen. Worum geht es Ihnen dabei?

Ich möchte mir ein Bild machen und eben auch ein Gefühl dafür bekommen: Wie tickt die Organisation eigentlich? Das ist immer ein Zusammenspiel aus Wahrnehmen und Verstehen. Die Diakonie ist ja ein sehr vielfältiges Unternehmen mit einer gewissen Komplexität. Es geht mir darum, eine Bestandsaufnahme zu machen und erst einmal viel zuzuhören: Was läuft gut? Wo braucht es neue Anstöße? Ich finde, das Gute sollte man immer weiterführen. Und dann merke ich auch jetzt schon, dass es konkrete Wünsche gibt, gute Ideen, aber auch den Ruf nach Unterstützung.

Wie etwa beim Fachkräftemangel?

Alle, mit denen ich bisher gesprochen habe, sagen, dass der Fachkräftemangel eines der wichtigsten Themen ist. Da wird es ein recht schneller erster Schritt sein zu gucken: Wo stehen wir da jetzt und wie können wir möglichst schnell eine neue Spur entwickeln. Das, was bereits da ist, wollen wir nutzen und dann versuchen zu erweitern bzw. anzupassen.

Warum ist das Thema so wichtig für soziale Unternehmen wie die Diakonie München und Oberbayern?

Der Personalbedarf steigt in vielen Bereichen – etwa wegen demografischer Entwicklungen. Unser wichtigstes Ziel ist es, unsere Klient*innen zu unterstützen. Und natürlich wird es auch aus wirtschaftlicher Perspektive schwierig, wenn wir zum Beispiel Plätze in der Jugendhilfe oder in der Pflege nicht belegen können, weil qualifiziertes Personal fehlt. Mir ist es aber ebenso wichtig, die Fürsorge-Verantwortung gegenüber unseren vorhandenen Mitarbeiter*innen zu betonen. Diese erlebe ich als total engagiert, und – mir fällt kein besseres Wort ein – einfach als sehr "committed". Da hat sich die Verantwortung der Unternehmen in den letzten Jahren deutlich verändert: Wir müssen die Belastungen ernst nehmen, die Menschen durch ihre Arbeit erfahren. Wir müssen sie entlasten und in ihrer Resilienz stärken.

Welche Rolle spielen Führungskräfte dabei?

Das ist für mich eine Schlüsselposition. Ein Unternehmen unserer Größenordnung wird oft als nicht greifbar erlebt. Es wird vertreten durch die Führungskraft. Als Führungskraft muss ich Freude daran haben, mich auf die Individualität meiner Teammitglieder einzulassen, hinschauen, in den Kontakt gehen. Ich muss auch schwierige Themen ansprechen können. Wenn ich das alles nicht kann oder auch nicht will – dann bin ich in dieser Rolle auch nicht richtig. Führungskraft zu sein, ist nicht einfach nur ein Schritt auf der Karriereleiter, sondern ich muss mich wirklich für Menschen interessieren und mir bewusst machen, dass ich Verantwortung für sie trage.

Vor dieser Verantwortung haben viele Menschen Respekt. Wie kann man sie ermutigen, gerne Führung zu übernehmen?

Führung kann eine ganz wunderbare Aufgabe und ein wirklich erfüllender Job sein. Es ist ja wirklich etwas Tolles zu sehen, wie man Menschen kennenlernen kann, entdecken kann, wo Potenziale liegen, wo Fähigkeiten schlummern. Und natürlich müssen wir auch Führungskräfte wiederum ermutigen, auf sich zu achten. Ich denke, dass ist etwas, was man in diesem diakonischen Kontext auch einmal betonen muss: Ich kann nur so viel geben, wie ich auf mich selbst achte. In der Regel haben Führungskräfte wiederum Führungskräfte, die dann umgekehrt sagen müssen: "Mach mal etwas ruhiger. Das ist ein Marathon, den wir hier machen, kein Sprint."

Nun stehen Sie als Vorständin an der Spitze des Unternehmens. Wer achtet da auf Sie?

Ich glaube, wir müssen als Vorstandsteam gut im Kontakt miteinander sein, eine Balance finden, gemeinsam Zukunftsperspektiven entwickeln. Wir drei haben langjährige Erfahrungen aus unterschiedlichen Stellen. Aber natürlich muss man sich selbst in der Vorstandsposition sagen: Wenn ich heute den Stift zur Seite lege und den PC herunterfahre, passiert auch nichts. Ich muss zugegeben, dass ich dieses Mindset erst lernen musste. Man braucht wirklich ein Netzwerk außerhalb des Jobs. Familie. Hobbies. Ich fotografiere zum Beispiel gerne, weil ich dabei wunderbar abschalten kann und ich versuche, regelmäßig Sport zu machen. Das hilft mir, den Kopf frei zu bekommen .

Sie haben bisher in der freien Wirtschaft gearbeitet. Wo liegen für Sie die zentralen Unterschiede zwischen zum Beispiel Lufthansa oder Siemens, wo Sie auch schon tätig waren und der Arbeit bei der Diakonie?

Der große Unterschied liegt für mich im christlichen, im evangelischen Menschenbild. Und das ist etwas, was mir sehr wichtig ist: Als Mensch habe ich einen Wert aus mir selbst heraus. Ich muss mich nicht ständig beweisen, um bestehen zu können. Das müssen wir uns auch bei der Arbeit bewusst machen. Das Geschenk, angenommen zu werden wie ich bin, das ist der Kernbestandteil der christlichen Botschaft, der Rechtfertigungslehre in der evangelischen Theologie. Manchmal hadere ich deshalb mit dem Begriff "Human Resources". Der Mensch ist nämlich nicht nur eine Ressource. Das gilt selbstverständlich gleichermaßen für die Klient*innen: Was wir tun, das tun wir für die Menschen und für ihre Zukunft .

Die Diakonie München und Oberbayern wird in diesem Jahr 140 Jahre alt. Was wünschen Sie ihr und ihren Mitarbeiter*innen zum Geburtstag?

Ich wünsche ihr, dass sie die Strahlkraft weiter ausbauen kann. In der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung haben wir ja gesehen, welche Bedeutung die Diakonie für die Menschen hat. Diakonie ist gelebte Realität von Kirche. Das dürfen wir ruhig feiern. Mein Ziel als Vorständin für Personal und Bildung wird es sein, dass die Mitarbeiter*innen gerne für uns arbeiten, weil wir tolle Kolleg*innen haben, weil wir gute Rahmenbedingungen haben, weil es Spaß macht, in so einem Sozialunternehmen zu arbeiten. Ich finde die Videos zur Kampagne "Mit Dir. Für Morgen" einfach genial. Da steckt so viel positives Gedankengut drin. Sie sind sehr authentisch und zeigen, dass bei uns sehr unterschiedliche Menschen in vielfältigen Positionen einen Platz finden.

Sie haben zuletzt in Leverkusen gearbeitet. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Bayer oder Bayern?

(lacht) Ich bin sicher nicht so fußballversessen, aber ich freue mich schon darauf, mit meinem Mann ins Stadion zu gehen. Ich habe früher schon mal in Bayern gelebt und freue mich auf die wunderschöne Stadt. Ich mag die Lebensweise. Ich mag die Biergärten. Und die Brezn sind nirgendwo so knusprig wie hier.

 


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