"Darf ich auf die Blaue Bank?"

Flexible Lernlandschaft in der Alfons-Brandl-Schule

Zum Konzept der Alfons-Brandl-Schule in Herzogsägmühle gehört, dass sich Kinder selbst eine Auszeit vom Unterricht nehmen können. Und warum müssen Grundschulen nicht immer bunt sein?

Ein Vormittag in Herzogsägmühle. Das Lehrerzimmer der Alfons-Brandl-Schule ist fast leer, die meisten Lehrkräfte sind im Unterricht. Da klopft es leise an der Tür. Draußen steht Sebastian* (Name geändert) aus der 4. Klasse. "Darf ich auf die blaue Bank?"

Mehr eine Information als eine Frage an den Schulleiter, der ihm geöffnet hat. "Ja, ist gut", lautet die Antwort. "Wenn du wieder soweit bist, gehst du zurück in die Klasse." Was hat es hiermit auf sich? Warum können sich Kinder hier selbst vom Unterricht befreien?

Mit dem Handicap umgehen lernen

"Das Kind spürt, dass es gerade nicht in der Lage ist, im Unterricht mitzumachen", erfährt man als gerade zufällig anwesender Zeuge auf neugieriges Nachfragen hin."Um nicht Gefahr zu laufen, die anderen zu stören und um sich schneller wieder in die Spur zu bringen, gibt sich Sebastian ein paar Minuten. Dafür haben wir den 'reizarmen Raum', einen Ort zum Runterkommen", erklärt Manfred Hörmann, Sonderpädagoge und seit 2017 Leiter der Schule. "Wenn wir einen Schüler erst einmal so weit haben, wie in dieser Situation, haben wir schon wahnsinnig viel gewonnen. Das ist unser Ziel: Dass die Kinder mit ihrem Handicap umgehen lernen. Dass sie sich selbst regulieren."

Die Alfons-Brandl-Schule in Herzogsägmühle ist eine sogenannte "E-Schule" – eine sonderpädagogische Einrichtung mit Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Kinder mit Konzentrationsschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten, etwa Kinder mit einer ADHS- oder Autismus-Symptomatik können seit 2002 hier ihre schulische Heimat finden. Der Schulstoff ist derselbe wie in der Regelschule, die Kinder lernen jedoch in kleineren Klassen und mit zusätzlichen erzieherischen Fachkräften in den Unterrichtsräumen.

Es muss nicht immer bunt sein

Eine engmaschige Betreuung ist in einer E-Schule für eine harmonische Arbeitsatmosphäre das A und O. Mit der Zeit hat das Team um Manfred Hörmann aber auch viele Erfahrungen dazu gesammelt, welche pädagogischen Effekte sich auch mittels einer geeigneten räumlichen Gestaltung erzielen lassen. Als die Schule kürzlich aufgrund der immer länger gewordenen Warteliste an neuen Schüler*innen einen Erweiterungsbau für die Grundschulstufe bekommen sollte, war klar, dass die Architektur umfassend pädagogisch gedacht werden muss.

Beim Betreten des neuen Gebäudes für die Klassen 1 bis 4 überrascht als erstes die zurückhaltende Farbgestaltung. Eine Grundschule stellt man sich bunt vor, die einzige Farbe begegnet hier eben das kühle Blau. In den Klassenzimmern und in den Gängen gibt es viele Nischen und abtrennbare Ecken. "Die Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten und Möglichkeiten zu individueller Förderung in einer ruhigen und reizarmen Atmosphäre waren uns besonders wichtig", so Manfred Hörmann. Die Klassenräume können aber auch zum Flur hin geöffnet werden. Eine so flexible Lernlandschaft kann auch auf großen Bewegungsdrang reagieren.

Bei der Materialauswahl wurde ein besonderes Augenmerk auf Akustik und Schalloptimierung gelegt, um besonders lärmempfindlichen wie auch besonders lauten Kindern Rechnung zu tragen. Zum sonderpädagogischen Raumkonzept gehört ferner, dass die Toiletten direkt an die Klassenzimmer anschließen. Durch das Vermeiden von langen Wegen werden Gruppen zusammengehalten und dem Konzentrationsabfall entgegengewirkt.

Ruf nach mehr Förderschulen

Der Besuch einer Förderschule ist für Kinder wie Sebastian nicht der einzige Weg, aber für viele der richtige. Doch da sich Einrichtungen wie diejenige in Herzogsägmühle nur in Augsburg, Kempten und München befinden, müssen die Kinder teilweise einen Schulweg von 90 Minuten auf sich nehmen. "Ein Schulweg von 90 Minuten darf Kindern, und gerade Kindern mit emotionalem und sozialem Förderbedarf nicht dauerhaft zugemutet werden", findet Hörmann. Das E-Schulen-Angebot, für ihn die "Intensivstation des Schulsystems" muss seiner Meinung nach auch angesichts der immer weiter steigenden Bedarfe noch weiter ausgebaut werden, damit jedes Kind den Entfaltungs- und Lernraum erhält, den es benötigt. Und am besten in richtigen Gestalt und Ausstattung.

Sebastian hat sich inzwischen wieder in die Klasse integriert.


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