Pflege wird passgenauer

Konsequenzen der neuen Personalbemessung in der stationären Langzeitpflege

Prof. Dr. Heinz Rothgang referierte zur neuen Personalbemessung. Foto: Michaela Rehle

Die Hilfe im Alter gGmbh der Diakonie München und Oberbayern bereitet sich intensiv auf das neue Personalbemessungsverfahren (kurz: PeBeM) vor. Das Verfahren löst ab dem 1. Juli 2023 die bisherige Fachkraftquote in der stationären Langzeitpflege ab.

Gemeinsam mit der Hochschule München lässt die Hilfe im Alter gGmbH bereits seit Dezember 2022 in zwei Pflegezentren die Umsetzung der neuen PeBeM erproben und wissenschaftlich begleiten.

"Ziel ist es, die Lebensqualität unserer Bewohner*innen sowie die Arbeitsqualität unserer Mitarbeiter*innen weiter zu erhöhen. Gleichzeitig möchten wir für die Umsetzung des neuen Personalbemessungssystems eine Art 'Blaupause' für andere Träger entwickel", erklärt Geschäftsführer Dirk Spohd.

Welche Konsequenzen sich aus der neuen PeBeM für die Pflegeeinrichtungen ergeben – darüber hat das Unternehmen bei einem hochkarätig besetzten Fachtag der Evangelischen PflegeAkademie (Bereich Personalentwicklung) diskutiert. Grundlage für die neue PeBeM ist der Abschlussbericht zur Personalbemessung in der Langzeitpflege, der 2020 von einer Forschungsgruppe um Prof. Dr. Heinz Rothgang (SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen) vorgelegt worden ist. Rothgang war einer der Referenten auf dem Fachtag.

"Eine Fachkraftquote von 50 Prozent für alle Einrichtungen ist nicht zielführend"

Die überarbeitete Bedarfsberechnung orientiert sich sowohl an der Anzahl der pflegebedürftigen Personen in einer Einrichtung als auch an deren Pflegegrad. Neu ist außerdem, dass bestimmten Pflegesituationen unterschiedliche Qualifikationsniveaus zugeordnet werden. Diese reichen von Pflegefachkräften (Qualifikationsstufe 4), über Assistenzkräfte mit einer ein- bis zweijährigen Ausbildung (Qualifikationsstufe 3) bis zu angelernten Kräften wie Betreuungsassistent*innen (Qualifikationsstufen 2 und 1).

Prof. Dr. Heinz Rothgang erklärt den Hintergrund: "Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass eine Fachkraftquote von 50 Prozent für alle Einrichtungen nicht zielführend ist. Die Versorgung von Menschen in höheren Pflegegraden benötigt ein höheres Ausmaß an Fachlichkeit als die Versorgung von Menschen in niedrigen Pflegegraden. Unser System sieht daher vor, dass sich der Personalmix am Pflegegradmix der Einrichtung orientiert, sodass in allen Einrichtungen fachgerechte Pflege möglich wird."

Dr. Bernhard Opolony, Leiter der Abteilung Pflege im Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, war ebenfalls Referent auf dem Fachtag. Er ist überzeugt: "Eine Organisationsentwicklung, die zu einer stärkeren Abgrenzung von Aufgaben und Tätigkeiten in den Einrichtungen einerseits und zu einem größeren Qualifikationsmix sowie einer multiprofessionellen Zusammenarbeit andererseits führt, ist auch ein Beitrag zu einer Herausbildung der Profession Pflege, was wiederum zu einer Attraktivitätssteigerung des Berufs beitragen kann."

Dirk Spohd sieht die Vorschläge des Rothgang-Gutachtens positiv: "Wenn die Idee von Prof. Rothgang greift, dann wird durch die Verteilung der Zuständigkeiten auf verschiedene Qualifikationsniveaus die Pflege der Zukunft passgenauer gemacht und dadurch professionalisiert. Das ist ein gutes Signal für die gesamte Branche."

Zusätzliche Personallücke

Nach Berechnungen des Rothgang-Abschlussberichts ergibt sich bis 2030 bei vollständiger Einführung der PeBeM eine zusätzliche Personallücke von 115.000 Vollzeitstellen in der Pflege, vor allem bei den ausgebildeten Assistenzkräften.

"Ab dem 1.7. gelten die neuen Obergrenzen für das Pflegepersonal, die die Zahl der refinanzierbaren Pflegekraftstellen bundesweit um ca. 45.000 Stellen gegenüber dem Stand von 2018 anhebt", so Rothgang. "Das ist schon beachtlich – bis zu den benötigten 115.000 Stellen ist aber noch ein weiter Weg. Ich bin daher froh, dass sich die Bundesregierung im Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz auch zu weiteren Umsetzungsschritten ab 2025 bekannt hat. Wenn wir zusätzlich bedenken, dass eine erfolgreiche Umsetzung erhebliche Organisations- und Personalentwicklungsanstrengungen voraussetzt, ist klar, dass die vollständige Umsetzung bis zum Ende dieses Jahrzehnts dauern wird."

Wie die zusätzlichen Mitarbeitenden gewonnen werden können, ist eine der größten Herausforderungen für die Träger von Pflegeeinrichtungen.

"Wir setzen auf eine gute und praxisnahe Ausbildung von Pflegefachkräften und Pflegehelfer*innen in unserer eigenen PflegeAkademie sowie auf eine intensive Fort- und Weiterbildung des bestehenden Personals", erklärt Dirk Spohd. "Mitarbeiter*innen und Schüler*innen, die wir selbst ausgebildet haben, sind wichtige Garanten für unsere Pflegequalität." Zudem setze das Unternehmen auf das Recruiting von Fachkräften aus dem Ausland. "Mit unserer Fachstelle Vielfalt investieren wir sehr bewusst in die Integration dieser Mitarbeiter*innen und begleiten sie über den beruflichen Alltag hinaus, z.B. bei der Wohnungssuche. Außerdem versuchen wir sinnvolle Digitalisierungsstrategien zu erproben, um Pflege hier auf das 'Next Level' zu heben."

Opolony lenkt das Augenmerk auf einen weiteren Faktor: "Neben guter Ausbildung, verstärkten Maßnahmen der Mitarbeiterbindung und der Gewinnung von Mitarbeitenden aus dem Ausland sollten wir den Blick z.B. auch auf eine Senkung der Arbeitsunfähigkeitsquoten richten. Die Überlegungen von Prof. Rothgang beziehen konsequent auch Maßnahmen der Organisationsentwicklung ein, zu der auch Maßnahmen der Digitalisierung gehören."

 


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